Fall Rupperswil
Seltsame Beziehung: Gefängnis-Angestellte entwickelte Gefühle für Vierfachmörder Thomas N.
Fall Rupperswil
Eine Gefängnisangestellte rief die Staatsanwältin Barbara Loppacher an, um sich für Thomas N. einzusetzen. Jetzt reagiert das Amt für Justizvollzug.
Andreas Maurer
Thomas N., der Vierfachmörder von Rupperswil, hatte in den 33 Jahren seines Lebens vor seiner Tat nur eine Bezugsperson: seine Mutter. Er war nicht in der Lage, zu anderen Menschen eine langfristige Beziehung aufzubauen. Auch im Gefängnis bleibt die Mutter für ihn wichtig. Sie besucht ihn alle zwei Wochen. Er nutzt die vier Stunden Besuchszeit, die ihm im Gemeinschaftsraum zustehen, sowie die 160 Minuten Telefongespräche nur für sie.
In der Justizvollzugsanstalt Pöschwies in Regensdorf ZH, in der N. sitzt, ist eine neue Vertrauensperson im Leben des Vierfachmörders aufgetaucht. Zu einer Angestellten der Anstalt hat er eine Beziehung aufgebaut, die über den üblichen Kontakt zwischen Aufseherinnen und Insassen hinausgeht. Er heulte sich bei ihr aus, als er erfahren hatte, dass die Staatsanwältin ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben hatte.
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Sibylle Heusser/Keystone
Dieser Verfahrensschritt bedeutete für ihn, dass ihm die Verwahrung drohte. Die Fachfrau hatte Mitleid mit ihm und wollte ihm helfen. Sie wählte die Nummer der Aargauer Staatsanwältin Barbara Loppacher und kritisierte die Ermittlerin für ihre Untersuchungshandlung. Thomas N. sei nun wegen ihr «völlig durch den Wind», soll die Justizvollzugsangestellte gejammert haben.
Loppacher machte den Vorfall diese Woche an der Gerichtsverhandlung publik. Sie wollte damit die Fähigkeit des Mörders illustrieren, andere Leute zu manipulieren. Gleichzeitig deckte sie dadurch allerdings auch einen mutmasslichen Regelverstoss im sichers- ten Gefängnis der Schweiz auf.
Rupperswil-Prozess vor Aargauer Obergericht:
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Renate Senn, Verteidigerin von Thomas N.: «Mein Klient hat die Hoffnung gehabt, dass das Obergericht ein anderes Urteil spricht.»
Alex Spichale
Thomas Manhart leitet das Zürcher Amt für Justizvollzug und ist für Thomas N. verantwortlich. Am Donnerstagabend erfährt er über diese Zeitung von der Anschuldigung der Staatsanwältin und reagiert umgehend. Er startet Abklärungen und schreibt: «Mir ist der Fall nicht bekannt. Ich finde es auch etwas merkwürdig, dass die Staatsanwältin mich deswegen nicht kontaktiert hat. Das werde ich nun meinerseits nachholen.»
Am Freitag stellt er die Staatsanwältin zur Rede und lässt danach ausrichten, dass sich der Vorfall im Frühjahr 2017 ereignet habe. Die Mitarbeiterin habe sich wegen N.s «psychischer Belastung durch das Gutachten» an die Staatsanwältin gewandt. Grundsätzlich könne es etwa bei einer Suizidgefährdung angebracht sein, die fallführende Staatsanwältin über besondere Vorkommnisse zu informieren. Inzwischen arbeite die Frau nicht mehr in der Pöschwies. Deshalb könnten die Hintergründe nicht weiter untersucht werden.
Das berühmteste Knastpaar
In jüngerer Zeit hat eine Zürcher Anstalt sogar international Schlagzeilen ausgelöst, weil eine Aufseherin vergass, was sie in der Ausbildung gelernt hatte. Der richtige Umgang mit Nähe und Distanz ist ein zentraler Bestandteil des Lehrgangs für Justizvollzugsmitarbeitende. Die Frau, die zur berühmtesten Gefängnisaufseherin der Schweiz wurde, heisst Angela Magdici. Die damals 27-Jährige befreite den 32-jährigen Vergewaltiger Hassan Kiko aus dem Gefängnis Limmattal. Die Verliebten flüchteten nach Italien und wurden erst nach sieben Wochen verhaftet. Zurück im Gefängnis heirateten sie.
Es ist allerdings nicht davon auszugehen, dass sich Thomas N. körperlich zur Gefängnismitarbeiterin hingezogen fühlt, da er pädophil und homosexuell ist. N. gelang es 33 Jahre lang, seiner Mutter vorzuspielen, er sei ein ganz normaler Sohn. Die Staatsanwältin geht davon aus, dass er die Angestellte ebenfalls mit Lügengeschichten vereinnahmte.
Die Pöschwies ist mit 400 Plätzen und 260 Angestellten die grösste Justizvollzugsanstalt der Schweiz. Der Mann, der vier Menschen die Kehle durchgeschnitten hat, gilt als angenehmer Insasse. In den bisherigen zweieinhalb Jahren Haft ging wegen ihm kein einziger Rapport ein. Dabei sind diese an der Tagesordnung. Im vergangenen Jahr war die Anstalt mit durchschnittlich 335 Gefangenen belegt. Diese verhielten sich 411 Mal daneben, so viele Rapporte gingen bei der Anstaltsleitung ein, meist wegen negativem Verhalten in der Gruppe. Das führte zu 781 Disziplinarmassnahmen. Keine betraf N.
Von einem Gutachten des Gefängnisses erhielt er sogar Lob. Im Vergleich zu anderen Sexualstraftätern wurde er als geringeres Risiko eingestuft. Deshalb kommt der Schwerverbrecher in den Genuss eines lockeren Haftregimes. Seine Zelle ist tagsüber geöffnet, er muss keine Handschellen tragen. Jeden Tag darf er sich in offenen Arbeitsräumen aufhalten. Er nutzte die Gelegenheit für eine neue Bekanntschaft.
Die Reaktionen zum Urteil des Aargauer Obergerichts im Fall Rupperswil:
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Markus Leimbacher, Anwalt der Angehörigen «Die Verhandlung vor Obergericht ist so abgelaufen, wie ich es erwartet habe: wenig spektakulär und technisch. Es hat keine Neuigkeiten gegeben. Ohne die vorgängigen Äusserungen von Psychiater Frank Urbaniok, der die Therapierbarkeit von Thomas N. infrage stellte, wäre es langweilig gewesen. Das Urteil ist meinen Erwartungen entsprechend ausgefallen. Thomas N. hat verloren. Er hat Berufung eingelegt und nun ein schlechteres Urteil als vorher bekommen. Für die Angehörigen der Opfer wäre es nun wichtig, dass das Urteil so bleibt und es keine Ehrenrunde über das Bundesgericht gibt. Ihnen war wichtig, dass Thomas N. verwahrt wird. Ohne Verwahrung wären sie nicht zufrieden gewesen.»
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